Einer der führenden Architekten unseres Landes ist im hohen Alter von 101 Jahren gestorben.
Ein Nachruf von unserem Mitglied Alois Peitz.
Skizze Kapelle auf dem Kueser Plateau
Gottfried Böhm, auch in Trier kein Unbekannter!
Selten hat eine Familie die Architektur einer Epoche so bestimmt wie die Böhm’s. Schon der Vater Dominikus Böhm (1880-1955) mit seinen zum Teil vom Historismus befreiten expressionistischen Bauten, dann sein Sohn Gottfried mit Frau Elisabeth, selbst Architektin und maßgebliche Inspirationsquelle und jetzt drei Architekten-Söhne Stephan, Peter und Paul.
Im Schaffen von Gottfried Böhm überrascht seine Vielseitigkeit im Spiel mit Formen und Materialien, mit denen er treffsicher den unterschiedlichen Herausforderungen durch Ort und Bauherren gerecht wird. Vom klaren Kubus einer Heilig-Kreuz-Kirche in Trier bis zur Skulptur der zerklüfteten Betonlandschaft des Wallfahrtsortes Neviges oder der Kirche am Markt in Saarlouis, von dem zarten Glas-Stahl Gespinst zwischen Dom und Liebfrauen in Trier zur Anlage einer Sakramentskapelle (Entwurf) bis zur burgenähnlichen Betonbastion des Rathauses in Bensberg, von der einfühlsamen Ergänzung der Godesburg bei Bonn bis zur kreativen Neuschöpfung einer stählernen Schlossidee in Saarbrücken. Nach dem Verlust der Architektur-Stile durch Aufklärung und Moderne zeigt sich im Werk von Gottfried Böhm einmal mehr, dass unsere Zeit so viele Stile an den Tag bringt, wie sie Persönlichkeiten unter den Architekten kennt.
Das treffsichere Spielen und Suchen bei Gottfried Böhm konnten die Beteiligten und Interessierten bei der Renovierung des Trierer Domes (1969-1974) erleben, als Gottfried Böhm vorm Fass mit der Kalk-Trass-Schlämme selbst noch eine Schippe und noch eine des roten Sandsteinmehls zugab, mit einem Sackfetzen die je neue Mischung über die Pfeilerwände strich, um so zu seiner Rot-Färbelung zu finden. Mit kaum einer anderen Entscheidung als dieser ist es ihm mit Partner Nikolaus Rosiny gelungen, etwas von der Monumentalität des in römischer Antike wurzelnden Bauwerkes wieder zu gewinnen.
Auf der Suche nach dem minimalen Innenausbau der ehem. Klosterkirche St. Maximin in Trier zur Wandlung ihrer Nutzung kniete der Verfasser mit Gottfried Böhm auf dem Boden vor dem Zeichenpapier, Böhm mit dem Kohlestift in der Hand. Auf die Frage, ob er sich bei der gerade skizzierten Lösung sicher sei, antwortete Böhm: „Sicher war ich mir nie, ich spiele”.
Vielleicht gewann Gottfried Böhm seine Sicherheit im Kleinen, im Kleinsten. Bei der Verleihung des Pritzker-Preises 1986, dem „Nobelpreis für Architektur“ zum ersten und bisher einzigsten Mal an einen deutschen Architekten, stellte er der Versammlung Pläne und Modell eines Bildstockes vor, den er mit Sohn Paul 1984 in Köln-Weiss am Wegesrand geschaffen hatte. Ein kleines Mal mit allem, was Architektur ausmacht: Sockel und Dach, Stütze und Wand, Basis und Kapitell, Drinnen und Draußen, Höhle und Himmel.
Wie Gottfried Böhm das Große im Kleinen suchte, zeigt auch sein Entwurf zu einer nur etwa 9x6 m großen Andachtsstätte für das Rehazentrum auf dem Kueser Plateau bei Bernkastel. Zwei langgezogene leicht gewölbte Stahlwände, unterschiedlich groß, stehen einander gegenüber, übergreifen wie zwei sich bergende Hände. Der Entwurf ist von 1984. Noch 2019 fragte Böhm den Verfasser, ob nicht doch dieses Kleinod mit ihm noch realisiert werden könne. Es kam nicht mehr dazu.
Wir sind mit all dem reich beschenkt.
Danke Gottfried Böhm.
A.P.